Welche Wettbewerbsvorteile ergeben sich hier für Energieerzeuger?
Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland müssen sich darauf verlassen können, dass der von ihnen bezogene Ökostrom tatsächlich aus erneuerbaren Energien erzeugt wurde. Im Idealfall sollen Herkunftsnachweise die Herkunft von Strom aus erneuerbaren Energien transparent machen. Sie bieten den Verbrauchern die nötige Gewissheit, ob und mit welchem Anteil ihr bezogener Strom bilanziell aus erneuerbaren Energien stammt.
Ein Herkunftsnachweis ist ein elektronisches Dokument, welches bescheinigt, wie und wo Strom aus erneuerbaren Energien produziert wurde. Das Dokument ist ein Unikat und kann nur einmalig verwendet bzw. verkauft werden. Seit dem Jahr 2013 das Herkunftsnachweisregister – kurz HKNR – dazu genutzt, um Herkunftsnachweise (HKNs) nachzuverfolgen und zu entwerten.
Herkunftsnachweise als Wettbewerbsvorteil nutzen
- Transparenz schaffen
Der Herkunftsnachweis hilft Stromerzeugern nachzuweisen, dass eine bestimmte Energiemenge tatsächlich aus erneuerbaren Quellen stammt. - Mit den Nachweisen handeln
Die Herkunftsnachweise können an Energieversorger oder Unternehmen verkauft werden, welche diese nutzen wollen, um ihren eigenen Energiemix „grüner" zu machen. Damit können sie gegenüber ihren Kunden nachweisen, dass sie eine bestimmte Menge an Strom aus erneuerbaren Energien in ihr Netz eingespeist oder verbraucht haben. - Finanzierungsbedingungen verbessern
Weiteren Bedeutungszuwachs erfahren Herkunftsnachweise durch die zunehmende Ausrichtung des Finanzmarktes auf umweltfreundliche Investitionen. Investoren prüfen und berücksichtigen daher verstärkt die Umweltfreundlichkeit von Unternehmen. Für den Zugang zu Krediten und Fördermitteln mit den besten Konditionen kann der Herkunftsnachweis deshalb ein wichtiger Beleg für die Nachhaltigkeit sein.
Vor diesem Hintergrund müssen Unternehmen in den kommenden Jahren ihr Reporting hin zu einer Berichtserstattung ausbauen, die ökologische und soziale Nachhaltigkeit transparent und eindeutig belegbar macht.
Die Herausforderungen des aktuellen Systems
Das aktuelle System der HKNs wurde im Jahr 2013 eingeführt. Trotz einiger Anpassungen ist die grundsätzliche Funktionsweise nahezu identisch geblieben – was aus unterschiedlichen Perspektiven kritisiert wird.
- Tatsächlicher Beitrag zum Klimaschutz: Die Frage des tatsächlichen Beitrags für den Klimaschutz durch den Handel von HKNs zählt zu einem der Kernkritikpunkte.
- Insbesondere wird dieser stark in Frage gestellt, wenn die Preise der HKNs zu niedrig sind, um eine tatsächliche Lenkungswirkung auf die Marktteilnehmer zu erzielen.
- Ein weiterer Punkt ist die räumliche Entkopplung zwischen grüner Stromproduktion sowie dem Ort des Stromverbrauchs und ihrer anteilig kompensierten Emissionen. So wird im aktuellen System grün produzierter Strom bei Verkauf der dafür erhaltenen HKNs als grauer Strom vermarktet. Dabei werden durch den Käufer der HKNs an anderer Stelle Emissionen freigesetzt. Beispielsweise kann dabei die Produktion und der Verbrauch des grünen Stroms in Norwegen stattfinden während die Emissionen in Deutschland freigesetzt werden.
- Die Geltungsdauer der HKNs beträgt aktuell 18 Monate, und es besteht eine Übertragbarkeitsfrist von 12 Monaten, sodass Produktionszeitpunkt und Entwertungszeitpunkt zeitlich entkoppelt sein können. Problematisch hierbei ist, dass HKNs, die beispielsweise an einem sonnigen Sommertag generiert werden, auch für Zeiten mit mangelnder Verfügbarkeit an erneuerbaren Energien verwendet werden können. Eine zeitlich intelligente Steuerung zwischen Erzeugung und Verbrauch der Energie wird durch den Herkunftsnachweis nicht unterstützt.
- Im aktuellen System kann Ökostrom vermarktet werden, indem grauer Strom durch den Einkauf von HKNs als grüner Strom betitelt wird. Die Alternative wäre Strom aus Solar- oder Windenergie per Power Purchase Agreement (PPA) einzukaufen. Dabei handelt es sich um einen langfristigen Stromliefervertrag zwischen Stromerzeuger und Stromverbraucher. PPAs kommen typischerweise bei erneuerbaren Energien zum Einsatz. Die Nutzung von PPAs kann ggf. ökonomisch teurer sein, sodass in diesem Fall auf den Einkauf von Graustrom in Kombination mit HKNs ausgewichen wird. Dabei können Verbraucher das tatsächliche Engagement des Energieversorgers im Ausbau von erneuerbaren Energien durch ihren Bezug von Ökostrom nur schwer durchschauen.
- Hoher administrativer Aufwand sowie fehlende Schnittstellen sind weitere Schwachpunkte des aktuellen HKN-Systems. Eine Weiterentwicklung hin zu einem unbürokratischen, dynamischen System, das manuelle Eingriffe minimiert, ist deshalb dringend erforderlich. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf den beschleunigten Rollout von Smart Metern und die wachsende Bedeutung der Sektorenkopplung.
- Aktuell entstehen hohe Kosten bei der Registrierung neuer Kleinanlagen im HKN-Register aufgrund der Begrenzung von HKNs auf megawattstunden-große Blöcke. Verhältnismäßig sind diese Kosten für Kleinanlagen dementsprechend höher als bei Großanlagen in Bezug auf die generierten Einnahmen durch den Handel mit HKNs.
Trotz der erwähnten Kritikpunkte am aktuellen HKN-System, ergeben sich Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien sowie neue Chancen –insbesondere durch den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien.
Herkunftsnachweise der Zukunft? - Blockchain & zeitbasierte Grünstromzertifikate
Die erhöhte Regulation zum weiteren Vorantreiben der Dekarbonisierung kann die Nachfrage von HKNs in den nächsten Jahren stark beflügeln. Der norwegische Energiedienstleister Ecohz kommt in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass sich die Einnahmen durch den Handel von Herkunftsnachweisen zwischen 2023 und 2030 auf 57 Milliarden Euro belaufen können. Diese Einnahmen würden fast die Hälfte an den noch zu benötigenden Investitionen zum weiteren Ausbau von erneuerbaren Energien ausmachen, um die ambitionierten Klimaziele der Europäischen Union für 2030 zu erreichen.
Es gibt diverse Konzepte bzw. Technologien, die auf die skizzierten Kritikpunkte abzielen und zukünftig eine größere Rolle spielen könnten.
Zu einer wichtigen Ergänzung könnte der Einsatz der Blockchain-Technologie werden. Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Relevanz von Verbrauch und Erzeugung – insbesondere bei den Fragestellungen zum Klimaschutz – muss bei dieser Technologie Datenschutz und Dateneffizienz stärker in den Fokus genommen werden. Zur Speicherung von Daten in die Blockchain ist die damit einhergehende Erfordernis der Datenanonymisierung eine komplexe Aufgabe. Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) nennt in ihrer Arbeit „Zukunftsfähige Herkunftsnachweise: Konzept für die Ende-zu-Ende Digitalisierung“ denkbare Anwendungsszenarien für die Blockchain im aktuellen HKN-System.
Ein weiteres Konzept, das insbesondere auf die zeitliche Betrachtung der erneuerbaren Stromproduktion abzielt, verbirgt sich hinter dem Begriff der „T-EACs“ („Time-based Energy Attribute Certificates“ – auch bekannt unter „Granular Energy Attribute Certificates“ bzw. „Granular Renewable Energy Certificates (RECs)“). Hier liegt der Fokus auf die Berücksichtigung der zeitlichen Komponente in der erneuerbaren Energieerzeugung, während bei HKNs eine aggregierte Betrachtung erfolgt. Das Konzept wird derzeit beispielsweise durch Google in einem Pilot näher betrachtet.
Um das Problem der wetter- und z.T. zeitabhängigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen zu visualisieren, zeigt die folgende Abbildung die Volatilität und Momente der hohen erneuerbaren Energieerzeugung sowie Dunkelflauten, zu denen viele bzw. keine HKNs generiert werden. Durch die Berücksichtigung der zeitlichen Komponente kann eine verbesserte Transparenz und Synchronisation zwischen Stromerzeugung und -verbrauch hergestellt werden.
Abbildung 1: Darstellung der stündlichen Solar- und Windstromerzeugung über einen Sommermonat mit 31 Tagen.
Die Umsetzung von T-EACs kann auf die Schaffung von finanziellen Anreizen für Abnehmer des erneuerbaren Stroms in Zeiten von Lastspitzen abzielen. Somit können Potenziale hinsichtlich der verstärkten Nutzung von erneuerbaren Energien bei gleichzeitiger Stabilisierung des Stromnetzes ausgeschöpft werden. T-EACs schaffen allgemein mehr Transparenz über die erneuerbare Energieerzeugung und ermöglichen eine verbesserte zeitliche Kopplung von erneuerbarer Stromerzeugung und -verbrauch.
Was ist die zukünftige Rolle des Herkunftsnachweises?
Mit ausreichender Sicherheit lässt sich heute nicht sagen, wie sich in den nächsten Jahren das System der HKNs konkret verändern wird. Die starke Dynamik in der Energiewirtschaft sowie der hohe erwartete Ausbau und die zunehmende Wichtigkeit erneuerbarer Energien werden wahrscheinlich das Vornehmen weiterer Anpassungen und die Diskussion über die Umsetzung von alternativen Konzepten im aktuellen System der HKNs notwendig machen. Unternehmen sollten sich daher frühzeitig überlegen, welche Rolle Herkunftsnachweise künftig in ihren Nachhaltigkeitsbemühungen spielen sollen.