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Den Eintritt in die Hypercare-​Phase agil meistern

Betrieb und Weiterentwicklung im agilen Umfeld nachhaltig erfolgreich gestalten

Der Übergang von der agilen Produktentwicklung in den laufenden Betrieb stellt für viele Organisationen eine Herausforderung dar. Denn in dieser Phase treffen nicht nur verschiedene Teams, sondern oft auch verschiedene Welten aufeinander.

Um Betrieb und Weiterentwicklung nachhaltig abzusichern, lohnt es sich deshalb häufig bestehende Zusammenarbeitsmodelle zu hinterfragen und die Wertströme hinter ihren geschäftskritischen Prozessen in den Blick zu nehmen.

In der Hypercare-​Phase stehen viele Organisationen vor der gleichen Herausforderung: Nachdem ein digitales Produkt nach einer monate- oder sogar jahrelangen Entwicklungsphase gelauncht wurde, gilt es, die Lösung in die Linienorganisation zu überführen und den Betrieb zu organisieren - während gleichzeitig die Weiterentwicklung der Anwendung vorangetrieben werden muss. Aus Business-​Sicht geht es dabei häufig auch um die Standardisierung von Komponenten und die Skalierung der Lösung auf neue Bereiche oder Regionen, um sie vom Leuchtturm-​Projekt zur Cash Cow zu machen. Aus organisatorischer Sicht hingegen bedeutet der Übergang von der agilen Produktentwicklung in den laufenden Betrieb zunächst meist einen Bruch: Neue Teamzusammensetzung, neue Rollen und neue Arbeitsweisen oder die Einführung einer Produktorganisation erzeugen häufig Unsicherheit bei den beteiligten Mitarbeiten und Friktionen in den Prozessen und Abläufen.

  

Herausforderungen beim Eintritt in die Hypercare-​Phase

Denn die im geschützten Umfeld des agilen Pilotprojekts über lange Zeit eingespielten agilen Zusammenarbeitsmodelle treffen nun auf neue Anforderungen und meist auch auf andere kulturelle Prägungen der Mitarbeitenden in der Linienorganisation. Daraus ergeben sich für die Organisationen spezifische Herausforderungen sowohl auf der technisch-​organisatorischen als auch auf der zwischenmenschlichen Ebene:

Das betrifft zum einen die Frage nach dem geeigneten Zusammenarbeitsmodell. Denn häufig passen die in der Entwicklungsphase eingesetzten agilen Frameworks mit ihren auf schnelle Bereitstellung neuer Features ausgerichteten Sprints nur bedingt zu den Arbeitsabläufen im Betrieb. Hier gilt es, einen Modus zu finden, der für beide Seiten funktioniert und sicherstellt, dass alle nach den gleichen Regeln arbeiten, indem transparent sichtbar ist, wo das jeweils andere Team geradesteht, d.h. welche Features gerade in der Pipeline sind oder wo gerade die Herausforderungen beim Bugfixing liegen. Die Lösung liegt meist jenseits starrer Frameworks in angepassten Ansätzen, die auf die Anforderungen der jeweiligen Rahmenbedingungen zugeschnitten sind.

Zum anderen stoßen viele Unternehmen in der Hypercare-​Phase auf Schwierigkeiten bei der Ressourcenplanung, da noch nicht absehbar ist, wie hoch der tatsächliche Bugfixing-​ und Testaufwand sein wird. Hier gilt es für die Unternehmen, die richtige Verteilung von Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Ressourcen zwischen Entwicklungs-​ und Betriebsteams zu finden.

Schließlich gilt es auch auf der zwischenmenschlichen Ebene, den Wechsel von gewohnten agilen Arbeitsweisen zu einem anderen Modus Operandi und umgekehrt zu moderieren - und dabei die Motivation auf beiden Seiten hochzuhalten und zwischen ihnen zu vermitteln, um typische Change-​Barrieren zu überwinden.

  

Situationsabhängige Anpassung des Zuammenarbeitsmodells

Überzeugende Antworten auf diese Fragen zu finden, ist entscheidend für den langfristigen Erfolg von Software-​ und Digitalisierungsprodukten. Nur wenn es Unternehmen gelingt, die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungsteams und Linienorganisation effizient und friktionsfrei zu gestalten, können neue Lösungen nachhaltig skalieren und langfristiges Wachstum generieren. Gleichzeitig wird den spezifischen Herausforderungen dieser Übergangsphase in der Praxis meist zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Um diese zu überwinden, müssen Organisationen bereit sein, sich mit den Rahmenbedingungen vor Ort auseinanderzusetzen, bestehende Zusammenarbeitsmodelle zu hinterfragen und eigene Ansätze zu entwickeln, anstatt bekannte Frameworks blind zu übernehmen. Dazu können verschiedene Ansätze genutzt werden:

 

  1. Brownfield: Coaching und Weiterentwicklung im bestehenden Zusammenarbeitsmodell
    Ist ein agiles Zusammenarbeitsmodell bereits eingeführt, weist aber in der Praxis noch Schwächen auf, kann zunächst ein begleitender Ansatz sinnvoll sein, der die Teams und ihre Mitarbeitenden bei der Umsetzung unterstützt und methodisch befähigt. Dazu gehören sowohl Sparring und individuelles Coaching ausgewählter Rollen wie z.B. Product Owner oder Fachbereichsverantwortliche im Hintergrund als auch Strukturworkshops, in denen die Weiterentwicklung des Zusammenarbeitsmodells vorgenommen werden kann. Wichtig ist hierbei, dass die Diskussion möglichst breit und lösungsoffen geführt wird und möglichst viele Perspektiven in die Anpassung des Zusammenarbeitsmodells einfließen. Darüber hinaus sollten die gemeinsam erarbeiteten Regeln und Grundsätze in einem Agilen Playbook festgehalten werden, um die Akzeptanz in der Organisation zu erhöhen.
     
  2. Greenfield: Wertstromorientiertes Redesign des Zusammenarbeitsmodells
    Ist hingegen innerhalb der Organisation unklar, welches Zusammenarbeitsmodell überhaupt zum Einsatz kommen soll, oder machen sinkende Mitarbeiterzufriedenheit, steigende Fluktuation oder sinkende Fertigstellungsraten von Projekten in Time & Budget eine Ablösung des bestehenden Modells notwendig, empfiehlt sich ein Greenfield-​Ansatz. Hierbei werden zunächst im Rahmen eines sogenannten Value Stream Mappings die geschäftskritischen Prozesse mit Blick auf die zugrundeliegenden Wertströme analysiert, um einerseits Risiken, z.B. in Form von Medien- oder Prozessbrüchen, zu identifizieren und andererseits zu erkennen, wie die Produktorganisation optimal angepasst werden sollte, um die geschäftskritischen Prozesse kundenzentriert auszurichten. Auf Basis dieser Erkenntnisse kann das Zusammenarbeitsmodell gestaltet und optimal auf die Anforderungen der Organisation ausgerichtet werden.  

 

Während ein Brownfield-​Ansatz parallel zum laufenden Betrieb durchgeführt werden kann, führt die komplette Neugestaltung des Kooperationsmodells im Rahmen eines Greenfield-​Ansatzes häufig zu kurzfristigen Unterbrechungen bzw. Verzögerungen im laufenden Projekt, etwa durch das Lösen von Spannungen und Konflikten in der Storming-​Phase. Aus diesem Grund sollten solche radikalen Umstrukturierungen nicht zu häufig durchgeführt werden. Dennoch kann sich der höhere Aufwand je nach Projektsituation langfristig auszahlen, vor allem dann, wenn das bestehende Zusammenarbeitsmodell nicht mit den veränderten Anforderungen im Betrieb vereinbar ist.

  

Reflexionsfähigkeit über die Art der Zusammenarbeit gewinnt an Bedeutung

Der Übergang von der Entwicklungsphase in den laufenden Betrieb ist häufig ein neuralgischer Punkt, da hier in der Regel unterschiedliche Anforderungen, Arbeitsweisen und Kulturen innerhalb der Organisation aufeinandertreffen, was zu Reibungsverlusten in den Prozessen und zu sinkender Motivation in den beteiligten Teams führen kann. Die Spannungen, denen Organisationen hier ausgesetzt sind, nehmen tendenziell zu, je kürzer die Innovationszyklen werden und je höher der Feature-​Druck auf den Unternehmen lastet. Um vor diesem Hintergrund eine Überforderung der Organisation zu vermeiden, ist es gerade an Bruchstellen wie dem Eintritt in die Hypercare-​Phase notwendig, Arbeitsweisen und Zusammenarbeitsmodelle zu reflektieren und jenseits bestehender Frameworks gemeinsam mit den Mitarbeitenden eigene, an die Anforderungen der Organisation angepasste Ansätze zu entwickeln. Diese Reflexionsfähigkeit wurde in Organisationen lange vernachlässigt, gewinnt aber gerade vor dem Hintergrund veränderter Arbeitsmodelle in der Post-​Corona-Phase, in der viele informelle Austauschmöglichkeiten wegfallen, zunehmend an Bedeutung.